Wer mit biogenen Rohstoffen arbeitet, sollte genau hinschauen: Je nach Bilanzierungsansatz kann die CO2-Bewertung stark schwanken – und damit auch die Aussagekraft Ihrer Angaben in Marketing, Produktkommunikation oder Reporting. In diesem Beitrag erfahren Sie, worauf es bei biogenem Kohlenstoff ankommt und wie Sie eine Methodik wählen, die konsistente und nachvollziehbare Ergebnisse liefert.

CO2 ist nicht gleich CO2 – und das macht in Ihrer Klimabilanz den Unterschied 

Um eine möglichst aussagekräftige und valide CO2-Bilanz oder LCA (Lebenszyklusanalyse) zu erstellen, muss dringend zwischen fossilem und biogenem Kohlenstoff unterschieden werden. Je nach Anwendungsfall und verwendeter LCA-Methodik variiert die Kohlenstoffbilanzierung und damit der PCF (Product Carbon Footprint) nämlich erheblich.

Gerade beim Vergleich verschiedener Produkte kann es leicht zu Fehleinschätzungen kommen, wenn unterschiedliche Ansätze vermischt werden. Das birgt Risiken – insbesondere mit Blick auf Marketingaussagen, etwa im Rahmen der Green Claims Directive. Eine saubere und konsistente Bilanzierung ist daher nicht nur für die eigene Analyse, sondern auch für glaubhafte und rechtssichere Kommunikation entscheidend.

 

 

Wie unterscheiden sich biogener und fossiler Kohlenstoff?

Der wichtigste Unterschied liegt in der zeitlichen Herkunft: Biogener Kohlenstoff ist z. B. in Pflanzen eingelagert, da sie während der Wachstumsphase CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen. Wenn diese verrotten oder verbrannt werden, wird dieses CO2 zwar freigesetzt, der Kohlenstoff befindet sich allerdings in einem kurzen Kohlenstoffkreislauf. Es herrscht ein Gleichgewicht aus Einlagerung und Emission.

Fossiler Kohlenstoff hingegen lagert seit Millionen Jahren in Form von Kohle, Öl oder Gas tief unter der Erde. Wird er freigesetzt, erhöht sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre dauerhaft, da es keinen schnellen natürlichen Ausgleich gibt. Während sich biogene Emissionen durch neues Pflanzenwachstum kompensieren lassen, trägt die Freisetzung fossilen Kohlenstoffs also direkt zum Klimawandel bei.

 

 

Die Hauptansätze der Kohlenstoffbilanzierung: 0/0 vs. +1/-1

Es gibt zwei gängige Methoden zur Bilanzierung von biogenem Kohlenstoff: den 0/0-Ansatz und den +1/-1-Ansatz.

Beim 0/0-Ansatz wird der biogene Kohlenstoff nicht berücksichtigt, da davon ausgegangen wird, dass freigesetzte biogene Emissionen zeitnah durch nachwachsende Biomasse wieder aufgenommen werden – vorausgesetzt, die Landnutzung bleibt konstant und der Kohlenstoffkreislauf geschlossen. Das bedeutet, dass CO2-Emissionen bei der Verbrennung oder Zersetzung von biogenen Materialien wie Holz nicht in das Treibhausgaspotenzial (Global Warming Potential, GWP) einfließen. Das GWP beschreibt den relativen Beitrag eines Treibhausgases zur globalen Erwärmung über einen festgelegten Zeitraum (in der Regel 100 Jahre, GWP100), bezogen auf CO2 als Referenzgas und ist die zentrale Größe für die Berechnung des CO2-Fußabdrucks eines Produkts oder Unternehmens. Auch das gespeicherte biogene CO2 fließt nicht in die Berechnung mit ein, es wird also weder bei der Aufnahme noch bei der Freisetzung bilanziert. Dadurch kann es vorkommen, dass biobasierte Materialien im Vergleich zu fossilen Produkten schlechter abschneiden, wenn der Bilanzrahmen nicht den gesamten Produktlebenszyklus umfasst. Das zeigt auch das vereinfachte Beispiel in den folgenden Grafiken: Zwei fiktive Produkte – eines fossil-, eines biobasiert – durchlaufen denselben Herstellungsprozess mit identischen CO2-Emissionen. Da nach dem 0/0-Ansatz das biogene CO2 nicht bilanziert wird unterscheiden sich die beiden Produkte bis zum Ende der Produktion nicht voneinander, beide haben bis zum Gate 40 kg CO2-Emissionen verursacht. Erst am Ende des Lebenszyklus unterscheiden sie sich, da nur der fossile Kohlenstoff berücksichtigt wird. Anwendung findet dieser Bilanzierungsansatz zum Beispiel bei den Wirkungsabschätzungsmethoden nach ReCiPe2016 oder PEF (Product Environmental Footprint).

0-0-Ansatz_fossil_DE         0-0-Ansatz_biogen_DE

 

Dem gegenüber steht der +1/-1-Ansatz. Hier wird der von der Biomasse beim Wachsen aufgenommene CO2 mit -1 bilanziert, er geht also mit einer negativen Gutschrift in die Bilanz ein, da das CO2 aus der Atmosphäre entfernt wird. Der freigesetzte Kohlenstoff wird mit einem Emissionsfaktor von +1 als positiver Emissionswert in die Bilanz aufgenommen. Diese differenzierte Betrachtung erlaubt es, die zeitliche Verzögerung zwischen der Freisetzung von CO2 und der Wiederaufnahme durch Pflanzen zu berücksichtigen, denn diese kann viele Jahrzehnte umfassen, in denen der biogene Kohlenstoff im Produkt gespeichert bleibt. Das zeigt auch das fiktive Beispiel in den Abbildungen unten. Durch die CO2-Gutschrift beim biogenen Produkt lässt sich schon direkt nach der Produktion ein deutlicher Unterschied zum fossilen Produkt erkennen. Deshalb wird dieser Ansatz häufig bei Prozessen angewendet, bei denen die Kohlenstoffbindung nicht sofort eintritt. Dazu gehören langjährig genutzte Holzprodukte, Landnutzungsänderungen mit längerfristiger Kohlenstoffbindung oder landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche Prozesse. Dieser Bilanzierungsansatz wird unter anderen bei der Erstellung von PCFs nach ISO 14067 oder Umweltproduktdeklarationen (EPDs)/LCAs nach EN15804 angewendet.

+1--1-Ansatz_fossil_DE       +1--1-Ansatz_biogen_DE

 

Ein Vorteil des +1/-1-Ansatzes zeigt sich, wenn biogene Materialien anschließend mit fossilen Komponenten kombiniert oder weiterverarbeitet werden. In solchen Fällen muss der biogene Kohlenstoffgehalt nicht entlang der gesamten Lieferkette durchgereicht und neu bilanziert werden – es reicht, am Ende die Nettoemissionen aus der Gesamtverarbeitung als +1 zu erfassen. Allerdings besteht die Gefahr, dass nachgelagerte Partner die Bilanzwerte falsch interpretieren, besonders dann, wenn sie mit dem 0/0-Ansatz weiterarbeiten. Dies kann zu Doppelzählungen oder Unterschätzungen führen, wodurch sich die Bilanz des Produkts deutlich verschlechtert. Um solche Missverständnisse zu vermeiden, kann es helfen, jeweils einen Wert mit und ohne biogenen Kohlenstoff anzugeben, damit klar dokumentiert wird, welcher Bilanzierungsansatz zugrunde liegt.

 

 

Gut zu wissen:

Für bestimmte Produkte und Branchen spielen viele zusätzliche Faktoren eine Rolle. Dazu gehört die Landnutzungsänderung (LULUC). Wenn biogene Rohstoffe aus Flächen stammen, für die z. B. Wälder gerodet wurden, kann die anfängliche CO2-Aufnahme durch massive Emissionen aus der Landnutzungsänderung reduziert oder sogar überkompensiert werden. In vielen Standards (z. B. EN15804) wird außerdem verlangt, dass der biogene Kohlenstoffgehalt eines Produkts angegeben wird – auch wenn er im GWP nicht als Emission bilanziert wird. Für eine transparente Nachhaltigkeitskommunikation und Zertifizierung von Produkten lohnt sich daher eine saubere Dokumentation des biogenen Kohlenstoffgehalts.

 

 

 

Warum Sie auch biogenes Methan im Blick haben sollten

Biogenes Methan (CH4) wird freigesetzt, wenn biogene Materialien vergoren, kompostiert oder in anderen biologischen Prozessen umgesetzt werden, wie es z. B. in Biogasanlagen der Fall ist. Zwar stammt der darin enthaltene Kohlenstoff auch hier ursprünglich aus der Atmosphäre, er wird jedoch nicht als CO2 freigesetzt, sondern in Form von CH4 in die Umgebungsluft abgegeben. Das Problem: Methan besitzt als Treibhausgas ein deutlich höheres Treibhauspotenzial als CO2 und wirkt über einen Zeitraum von 100 Jahren viel klimaschädlicher. Nach einiger Zeit in der Atmosphäre oxidiert das Methan dann wieder zu CO2, was ebenfalls mit in die Bewertung einfließt. Das ist vor allem bei biogenem CH4 relevant, denn hier stellt sich die Frage: Zählt das ursprüngliche Methan – oder das CO2, zu dem es später wird? Je nach Bilanzierungsansatz unterscheidet sich die Bewertung:

  • Beim +1/-1-Ansatz wird sowohl fossiles als auch biogenes Methan mit einem Faktor von 29,8 kgCO2e/kg bewertet, der die Klimawirkung des Methans über 100 Jahre hinweg berücksichtigt. Es wird angenommen, dass die Treibhauswirkung des Gases gleichbleibt, egal ob der Kohlenstoff ursprünglich aus fossilen oder biogenen Quellen stammt.

  • Beim 0/0-Ansatz wird unterschieden: Fossiles Methan wird ebenfalls mit 29,8 angesetzt, biogenes Methan aber nur mit 27 kgCO2e/kg. Da das Methan aus biogener Quelle stammt und letztlich zu biogenem CO2 oxidiert, das im 0/0-Ansatz nicht als Emission berücksichtigt wird, reduziert dies die akkumulierte Klimawirkung über 100 Jahre im Vergleich zu fossilem Methan.


Die folgende Tabelle zeigt beispielhaft, wie verschiedene Standards biogenes und fossiles Methan sowie weitere Kohlenstoffflüsse bewerten. Während die ISO 14067 auf den +1/-1-Ansatz für biogene CO2-Flüsse setzt, übernimmt sie für Methan die GWP-Werte aus dem IPCC-Bericht – also 29,8 für fossiles und 27 kgCO2e/kg für biogenes Methan. Im IPCC-Bericht veröffentlicht der Weltklimarat den aktuellen Stand der Klimaforschung und stellt global anerkannte Emissionsfaktoren und GWP-Werte bereit, welche auf dem 0/0-Ansatz basieren. Auch die ReCiPe-Methodik verwendet einen 0/0-Ansatz und berücksichtigt deshalb biogene CO2-Emissionen nicht, nutzt allerdings für fossiles und biogenes Methan die Werte aus einem älteren IPCC-Bericht. Auch der PEF (Environmental Footprint 3.1) unterscheidet je nachdem, ob Kohlenstoff aus Boden, Biomasse oder durch Methanemissionen stammt. Für Unternehmen bedeutet das: Die Bilanzierung ist komplex und nur wer den zugrunde liegenden Standard kennt, kann Aussagen über Emissionen richtig einordnen und effektiv kommunizieren.

Biogenes CO2_Tabelle DE-1

Biogener Kohlenstoff in der Bilanz? 5 Fragen zur schnellen Einschätzung 

Ob der biogene Kohlenstoffgehalt bei Ihrem Produkt eine Rolle spielt, lässt sich mit den folgenden Fragen schnell klären:
  • Verwenden Sie biogene Materialien?
    (z.  Holz, Baumwolle, Papier, Biokunststoffe, Pflanzenöle, tierische Fasern)

  • Hat Ihr Produkt eine lange Lebensdauer (z.B.  als Baustoff)?

  • Haben Sie Daten zur Herkunft der Biomasse?
    → Landnutzungsänderungen können Ihre Bilanz stark verschlechtern

  • Wollen Sie für Ihr Produkt eine CO2-Bilanz nach ISO 14067, ein LCA nach ISO 14040/14044 oder eine Environmental Product Declaration (EPD) nach EN15804 erstellen?

  • Planen Sie eine cradle-to-gate Bilanz?

Wenn diese Fragen auf Sie zutreffen, ist es ratsam, den Kohlenstoff in Ihrem Produkt genauer zu betrachten. Denn: Die Wahl der richtigen Methodik bringt Vorteile – sowohl für Ihre CO2-Bilanz als auch für die Kommunikation mit Kunden und im Marketing. Indem Sie sich für die passende Methodik entscheiden und transparent über den Kohlenstoffgehalt Ihrer Produkte informieren, können Sie nicht nur Ihr Unternehmen langfristig umweltfreundlicher gestalten, sondern auch das Vertrauen Ihrer Kunden gewinnen. Nutzen Sie die Vorteile einer präzisen und nachvollziehbaren Nachhaltigkeitsbilanz und setzen Sie ein starkes Zeichen für die Zukunft Ihres Unternehmens.

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Text: Hannah Zachskorn

Levin Winzinger

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Levin Winzinger

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Vielen Dank fürs Lesen! Die Welt der Nachhaltigkeit, Ökobilanzierung und CO2-Fußabdrücke ist faszinierend, und ich lade Sie herzlich ein, gemeinsam mit mir tiefer einzutauchen. Als M.Sc. Chemical Engineering ist Nachhaltigkeit nicht nur meine berufliche Expertise, sondern auch meine Leidenschaft, und ich freue mich darauf, diese Begeisterung mit Ihnen zu teilen. Wenn Sie mehr über die Herausforderungen und Chancen in diesem Bereich erfahren möchten, kontaktieren Sie mich gerne und lassen Sie uns zusammen Ihre Projekte für eine grünere und zukunftsfähige Welt entwickeln.
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